Im Johannesevangelium werden wir Zeuge einer Unterhaltung zwischen Jeshua (Jesus) und einer Samariterin. Die Juden hatten in der Regel keinen Kontakt zu den Samaritern. Sie galten ihnen als Heiden. „Ihr wißt nicht, was ihr anbetet“, sagt Jeshua zu der Frau. Und fährt fort: „Wir schon, denn „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4, 22). Er macht zuerst auf den entscheidenden Unterschied zwischen Juden und Heiden aufmerksam. Heiden haben von Natur aus keine Beziehung zu Gott. Das erklärt auch der Apostel Paulus in Epheser 2, 11. 12: „Darum denkt daran,…dass ihr zu jener Zeit ohne den Messias wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und den Bundesschlüssen der Verheißung fremd; daher hattet ihr keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt.“ Die Heiden wissen nicht, was sie anbeten. Juden aber wissen um die Existenz des lebendigen Gottes. Sie sind ihm schon immer nahe, Gott hat ihnen sein Wort offenbart (Eph. 2, 11-13; Röm. 9, 4). Es fällt auf, daß Jeshua nicht sagt: Das Heil kommt von mir? Warum? Offenbar ist es wichtig, daß Nichtjuden verstehen, woher ihr Heil kommt. Von den Juden. Was hat das mit Anbetung zu tun? Wahre Anbetung geschieht nur im Wissen um die Wurzeln und die Quelle des Heils. Anbetung gibt es nur „im Geist und in der Wahrheit.“ (Joh. 4, 24) „Seid verwurzelt und gegründet im (jüdischen) Messias“, heißt es im Kolosserbrief. „Wie ihr gelehrt worden seid.“ (Kol. 2, 6) Ohne Juden kein Messias und ohne Juden kein Heil.
Die entscheidende Frage lautet: Welchen Jesus beten wir an? Jeshua, den jüdischen Messias, den König der Juden, der ZUERST zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt ist. (Matth. 10, 5 f.; 15, 24) Den Löwen aus dem Stamm Juda (Off. 5, 5), oder eine christliche Kopie, die durch die Ersatztheologie verfälscht und verändert worden ist? Jeshua war kein Christ – dieser Begriff taucht erst Jahrzehnte später in Antiochien auf. Jeshua war ein orthodoxer jüdischer Rabbi, ein Torahlehrer. Er selbst ist die personifizierte Torah, das lebendige Wort Gottes. „Im Anfang war das Wort.“ (Joh. 1) Die ersten Jünger sprachen Jeshua deshalb auch mit „ha Torah“ und „Rabbi“ an.
Klaus Wengst stellt zu Recht fest: „Die Präsenz Gottes in Jesus kann als Präsenz des Gottes Israels nur erkannt und festgehalten werden, wenn keinen Augenblick das Judesein Jesu vergessen wird. Sonst wird aus dem Gott Israels, der gewiss der Gott aller Welt ist, ein Allerweltsgott, und aus dem jüdischen Menschen Jesus ein Universalmensch, ein konturloses Schemen, in das eigene Bilder projiziert werden“ (Das Johannesevangelium I, 167).
Jeshua lehrte in der Synagoge, hielt den Shabbat und die jüdischen Gebote. Und er sagt: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, die Torah (Gesetz) oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen von der Torah (Gesetz), bis es alles geschieht.“ (Matth. 5, 17-18) Und er stellt klar: „Das Heil kommt von den Juden“, das heißt, das Heil kommt durch und vom jüdischen Volk.
Die Bibel besteht aus jüdischen Büchern. Fast alle Autoren sind Juden. Und fast alle handelnden Akteure sind Juden. Die ersten Jünger, die erste Gemeinde in Jerusalem. Sie sind Juden und bleiben Juden. Sie glauben an Jeshua ha Massiah, den König der Juden. So lautet sein Titel. Deutlich zu lesen über seinem Kreuz. Sie leben und lehren aus der Torah. Das ist die Schrift und die Propheten. Ein Neues Testament gab es zu der Zeit nicht. Deshalb ist es für Nichtjuden wichtig, ihre jüdischen Wurzeln zu erforschen und zu erkennen, um den Inhalt der Schriften überhaupt richtig zu verstehen. Der Apostel der Heiden, der orthodoxe Gelehrte Shaul (Paulus), ein Jude, warnt die Heiden davor, überheblich zu sein, da sie als wilde Zweige in den edlen Ölbaum Israel eingepfropft sind. Nicht sie tragen die Wurzel, sondern die Wurzel trägt sie. (Röm. 11, 17-18)
Das Heil kommt von den Juden. Paulus nimmt das Wort Jeshuas im Römerbrief auf und stellt die Frage: Warum erkennt Israel seinen Messias mehrheitlich nicht? „So frage ich nun: Sind sie (die Juden) gestrauchelt, damit sie fallen? Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Heiden das Heil widerfahren; das sollte sie (die Juden) eifersüchtig machen.“ (Röm. 11, 11) Bemerkenswert, daß auch Paulus mit keinem Wort behauptet, das Heil sei durch Jesus zu den Heiden gekommen. Sondern durch den Fall der Juden, durch ihre Verwerfung des Messias ist das Heil zu uns Heiden gekommen. Ihr Straucheln, ihr Fall, entspricht dabei exakt dem Plan Gottes. Denn er selbst hat sie blind gemacht: „Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, dass sie nicht sehen, und Ohren, dass sie nicht hören, bis auf den heutigen Tag.“ (Röm. 11, 8) Sie sind blind heißt: Sie wissen nicht, was sie tun. Deshalb bittet Jeshua am Kreuz: Vater, vergib ihnen.
Das Heil kommt von den Juden beschreibt Gottes Heilsplan. „Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde.“ (Jes. 49, 3) Gott verwendet seinen „Knecht“ Israel, den er dazu berufen hat, sein Heil bis an die Enden der Welt auszubreiten. Durch Abraham und im weiteren Verlauf durch Isaak, Jakob und das Volk Israel sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden. Im Handeln mit seinem Volk erweist sich der Gott Israels als der Wahrhaftige. Er erfüllt vor den Augen der Welt sein Wort. Zur Ehre und Heiligung Seines Namens.
„Die Völker sollen erfahren, dass ich der HERR bin, spricht Gott der HERR, wenn ich vor ihren Augen an euch zeige, dass ich heilig bin. Denn ich will euch aus den Völkern herausholen und euch aus allen Ländern sammeln und wieder in euer Land bringen.“ (Hes. 36, 23-24) Dafür ist Israel bis heute Gottes lebendiger Zeuge. (Jes. 43; 44) Nehmen die Völker das Handeln Gottes wahr? Staunen wir über das Wunder, das er seit mehr als 100 Jahren vollbringt – gegen alle Widerstände der Völker?
Gottes Heilsplan ist untrennbar mit Israel und dem Land verbunden. Gott schwört sogar bei seinem Namen. (2. Mose 6) In christlichen Gemeinden ist das kein Thema. Dort redet man lieber von einem „geistlichen Israel“. Es zeigt: Man kennt weder Gott – den Gott Israels – noch sein Handeln. Wie verkehrt ist die christliche Theologie der Kirchen und Gemeinden, die genau das nicht erkennt (erkennen will) und lehrt. Das Gift der Ersatztheologie hat sie blind gemacht für Gottes Heilsplan und für das Thema Israel.
„Alle Versuche, Israel und das Judentum zu be- bzw. enterben und die Kirche als „wahres Israel“ darzustellen, sind Versuche, das Ärgernis loszuwerden, dass die Kirche und das Christentum auf die Existenz des Judentums angewiesen sind und bleiben. Auch der Versuch, den Satz historisierend zu verstehen und aus dem „Das Heil kommt von den Juden“ ein „es kam von den Juden“ zu machen, fällt unter dieses Verdikt.“ (Das Heil ist von den Juden. Eine Auslegung aus christlicher Sicht, Jochen Denker)
Auch die Landfrage ist eine „Anfrage“ an die christliche Theologie: „Die Frage der Landverheißung hat nicht viel zu tun mit der christlichen Glaubenswirklichkeit, wie sie heute vielfach praktiziert wird. Christen denken oft individualistisch. Für sie ist ihr Seelenheil und ihr persönliches Wohlergehen wichtig. Da stört ein Thema wie die Landverheißung. Doch genau sie verweist auf den Gott Israels, der die Weltgeschichte auf den Kopf stellt. Kann diese christliche Theologie richtig sein, wenn sie einen so zentralen Aspekt wie die Landverheißung nicht integrieren kann – oder will?“ (Wolfgang Kraus, „Eretz Israel. Die territoriale Dimension in der jüdischen Tradition als Anfrage an die christliche Theologie.“) Die Landverheißung ist Gabe Gottes und wesentlicher Bestandteil des Bundes mit Israel. Sie ist letztlich nicht an ein Wohlverhalten Israels geknüpft und damit unauflösbar. „Lech lecha“, geh aus, in ein Land, daß ich Dir zeigen werde, sagt Gott zu Abraham. (1. Mose 12) Das Land gehört Gott, er ist der Eigentümer (Jer. 2, 7; 3. M. 25, 23). Er macht es zum Gegenstand der Heilsgeschichte.
Das Heil kommt von den Juden. Erfüllt uns das mit Dank und Liebe zum jüdischen Volk? Oder verharren wir in christlicher Arroganz und Überheblichkeit, in einer Ersatztheologie, die Gottes Wort widerspricht? Wir müssen lernen und anerkennen, dass das jüdische Volk von Gott auserwählt – und geführt wird. Es ist sein Banner für die Welt. An und mit Israel zeigt Gott, wer er ist und wie er handelt. Israel ist das Licht für die Nationen. Die Frage nach Israel – nach dem Volk und dem Land – ist zuerst und zutiefst die Frage nach Gott – nach dem Gott Israels. Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, das ist sein Name in Ewigkeit.“ (2. M. 3, 15.)
„Gott kommt in Israel zur Welt“, hat H.-J. Kraus pointiert gesagt. Und das gilt in doppeltem Sinne. Zum einen ist die Geschichte Israels der Weg Gottes zu den Völkern. Zum anderen hat diese Geschichte einen konkreten Ort in der Welt. Nicht am Nil oder am Euphrat oder in den Wäldern Germaniens findet sie statt, sondern dort, wo Gott sich seinem Volk Israel offenbart und verbündet hat. Das Heil kommt von den Juden, denn durch sie kommt Gott selber zu den Völkern. Diese prophetisch-messianische Dimension nimmt Jesus auf und das Johannes-Evangelium stellt Jesus selber in diese Dimensionen ein: Israel ist das „Licht der Völker“. Gottes Heil gilt nicht nur ihm, sondern durch Israel soll Gottes Rettung reichen bis an die Enden der Erde (Jes 49,6; 42,6).“ (Das Heil ist von den Juden. Eine Auslegung aus christlicher Sicht, Jochen Denker)